„Warum?“ – Die Sinnstruktur von Verbrechen

Ein Gespräch mit dem Soziologen Sacha Szabo über die Faszination von Krimis.

"Warum?" - Die Sinnstruktur von Verbrechen

Sacha Szabo im Gespräch

Es ist ein liebgewordenes Ritual. Sonntags 20.15 der Tatort im Ersten. Aber es ist nicht nur der Tatort. Betrachtet man das Fernsehprogramm, so gibt es keinen Tag an dem nicht mindestens ein Krimi läuft. Wobei das nicht der Realität entspricht, tatsächlich werden täglich mehr als ein Dutzend Krimis gesendet. Navy CIS, Soko Wien, Numbers, Monk, Dexter, diese Liste ließe sich beliebig verlängern. Auch wenn diese Formate sich alle voneinander unterscheiden, so thematisieren sie doch Verbrechen und die Aufklärung von diesen. Was ist es, was Menschen so an diesem Thema fesselt? Wir sprachen mit dem Freiburger Soziologen Sacha Szabo, der am Institut für Theoriekultur Alltagskulturen untersucht.

Was zeichnet ein Verbrechen aus?

Sacha Szabo: Ein Verbrechen ist häufig aber nicht ausschließlich eine Straftat. Aber auf jeden Fall ist es ein Verstoß gegen die geltenden Normen, die zum größten Teil in der Rechtsordnung niedergelegt sind. Wenn wir den Begriff der Norm, der Gesetze, der Rechtsordnung auf einen übergeordneten Sammelbegriff zurückführen, dann sind dies Gesellschaftsstrukturen. Diese Gesellschaftsstrukturen geben den Mitgliedern Maßstäbe für sinnhaftes Handeln. Also wenn man ein Verbrechen charakterisiert, dann ist dies ein Einbruch des Undenkbaren in den Sinnhorizont der Betroffenen. Für diese ist ein Verbrechen über seine Sinnhaftigkeit nicht auflösbar. Deshalb finden sich auch so häufig Schilder an Verbrechensorten mit der Frage: „Warum?“.

Worin besteht nun der Sinn eines Verbrechens?

Sacha Szabo: Für den Täter ist der Sinn in den meisten Fällen sehr klar, er setzt seine Interessen durch. Allerdings ist der Sinnhorizont des Täters mit dem des Opfers nicht deckungsgleich. Es sind völlig unterschiedliche Sinneswelten. Deshalb ist für das Opfer die Motivation, selbst wenn sie erklärbar ist, nicht nachvollziehbar. Es ist eben schlichtweg undenkbar.

Ein Verbrechen ist also ein Verstoß gegen die Sinnhaftigkeit.

Sacha Szabo: Sogar noch mehr. Ein Verbrechen verstößt gegen die komplette Welt des Opfers. Dies betrifft den Sinn, betrifft aber auch die Zeitstruktur und die Raumstruktur. Oft wird ja dann auch gefragt, warum musste ich gerade zu diesem Zeitpunkt an diesem Ort sein. Diese Opferperspektive ist insofern auch tückisch, weil sie dem Opfer eine strukturelle Mitschuld gibt. Aber das Verbrechen ist rücksichtslos in seiner Durchsetzung. Es bricht in mindestens eine der Logiken ein, entweder die des Raums, der Zeit oder den Sinns.

Was fasziniert dann die Menschen so an Krimis?

Sacha Szabo: Bei einem Krimi wird dieser gefühlt irrationale Einbruch des Unwägbaren in eine nachvollziehbare Sinnstruktur überführt. Der Unsinn eines Verbrechens wird in ein Netz von Sinn eingebettet. Wenn das Verbrechen nicht aufgeklärt wird, was in Krimis recht selten geschieht, hat man dann doch Einblick in die Motivation des Täters erhalten. In der Realität stellt ein unaufgeklärtes Verbrechen für die Opfer eine Katastrophe dar, denn die eigene Welt ist buchstäblich zerstört und häufig gelingt es auch nicht diese Welt wieder zu heilen. Der Krimi hingegen lässt den Rezipienten in der Regel nicht verzweifelt zurück, sondern restrukturiert die Sinnordnung und das schafft Entlastung und macht die Krimis so attraktiv.

Ist das so einfach?

Sacha Szabo: Die meisten Krimis oder Thriller haben tatsächlich diese Entlastungsfunktion. Aber weswegen man sie überhaupt zur Hand nimmt, ist das Wissen um die strukturelle Instabilität des eigenen Sinnhorizonts, jederzeit kann ein Unglück geschehen. Literatur, Kultur überhaupt schafft hier – für einen kurzen Moment des Vergessens der Wirklichkeit – eine Erholung und sorgt dafür, dass das bedrohlich Unheimliche durch eine symbolische Ordnung, durch eine Erzählung eingerahmt wird.

Wie geschieht das?

Sacha Szabo: Wenn wir einen klassischen Krimi nehmen, werden die Motive des Verbrechers aufgedeckt und er wird genau an den Stellen überführt, an denen er gegen die Logik der Sinnstruktur verstoßen hat. Dies bezeichnet man als Alibi. Nämlich, wo war er wann und lässt sich diese Aussage mit der erfahrenen Wirklichkeit in Deckung bringen, oder gibt es eine Diskrepanz. Wenn ja, dann ist er zumindest verdächtig. Wird er dann überführt, ist die Welt wieder in Ordnung.

Herr Szabo, vielen Dank für das Gespräch.
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